Luftstau und Blockaden nicht nur bei Blechbläsern

Ideen und Gedanken zu einem Tabuthema

von Karsten Süßmilch

Viele Blechbläser*innen kennen folgendes: man möchte beginnen zu spielen, kann aber nicht, weil die Zunge und ggf. vieles Mehr beim geplanten Tonbeginn wie automatisch verkrampft und so die Luft staut. Und wo ein Wille ist, ist in diesem Fall leider kein Weg, eher das Gegenteil. 

Für Menschen, die so etwas nicht selbst erlebt haben, ist das sehr schwer nachzuvollziehen. Dieses Phänomen hat viele Geschwister, z.B. ein Kontrollverlust bei langen Tönen. Sie brechen weg, die Luft kommt irgendwie nicht bei den Lippen an, um sie in Schwingung zu halten, egal wie sehr man sich bemüht, gut zu atmen. Auch hier ist die Zunge verantwortlich, sie zieht sich Richtung Hals zurück und blockiert so den Luftstrom, wenn auch nicht komplett. In beiden Fällen kann das dazu führen, das der Ansatz immer mehr an Stabilität verliert und die Verunsicherung so groß wird, das jegliche Kontrolle über das Spiel verloren geht. 

Angetrieben von eigenen, glücklicherweise inzwischen längst überwundenen Problemen dieser Art, habe ich vor vielen Jahren begonnen, mich mit diesem Thema eingehend zu beschäftigen, und angefangen nachzufragen, nachzuhaken, genau zu beobachten, und alles, was mir in diesem Zusammenhang relevant erschien, zu sammeln.

Dabei musste ich zu meinem Erstaunen feststellen, wie viele Kollegen*innen die Symptome mehr oder weniger stark kennen, manche schaffen es, sie „wegzuüben“,  andere haben Krisenzeiten, die sie überwinden können, ohne das sie genau wissen, wie, und erstaunlich viele klagen mehr oder weniger offen darüber, das sie sich durch dieses Phänomen immer wieder stark beeinträchtigt fühlen. Sehr wenige sprechen von sich aus darüber, da Schwächen zu zeigen in unserem Metier problematisch, und deshalb das Thema Luftstau/Stottern bei Blechbläsern*innen ein Tabuthema ist.

Was mir auch auffällt, ist, das dieses Phänomen bei Blechbläsern*innen, unabhängig von ihrem methodischen Konzept, auftritt. Egal ob Ein- oder Ausatmer*innen, Ansatzfetischisten*innen, Chicagoer- oder Leipziger Schule, Spieler*innen, die sich voll auf die Intuition verlassen, welche, die jeden Muskel analysieren, oder wie auch immer. Es gibt viele in sich schlüssige Wege, Blechblasinstrumente zu erlernen und erfolgreich zu spielen. All die gängigen Methoden haben großartige Spieler hervorgebracht, aber eben auch welche, die an Blockaden wie dem Stauen zerbrochen sind. Manchmal auch beides nacheinander.

Es muss da also etwas sein, das unabhängig vom methodischen Weg zu Schwierigkeiten führt!

Man kann sich das in etwa so wie bei einem Computer vorstellen, der zwar technisch absolut in Ordnung ist,  in dessen Betriebssystem sich aber durch den Gebrauch mit der Zeit immer mehr Viren eingenistet haben, weshalb er immer wieder hängt, abstürzt, langsamer wird, etc.

Einen von Viren befallenen Computer kann man durch ein neues Aufspielen des Betriebssystems meistens wieder zum Laufen bringen. Dabei ist das neu aufgespielte Betriebssystem nicht besser als das alte, es muss nur ohne durch den Gebrauch eingefangene „Viren“ sein. 

Der Mensch hat natürlich, anders als der Computer, eine Erinnerung, die man nicht einfach löschen kann. Deshalb muss er, um „ein neues Betriebssystem aufzuspielen“, alte Gewohnheiten durch neue ersetzen, und die zu bilden braucht Zeit.

Computerviren sind ein hilfreiches Bild, um die Problematik zu verstehen:

Durch unterschiedliche Einfüsse wie z.B. Angst, Zweifel, Zögern, Unsicherheit, unsicheres Dirigat, psychischer Druck, ein destabilisierendes Umfeld etc., aber auch belastende Lebenserfahrungen jenseits vom Musik machen, schleichen sich destruktive Verhaltensmuster in ein gut funktionierendes System ein, und beeinträchtigen dies immer mehr, ggf. bis zum Kollabieren. Ähnlich wie Vieren im Computer, die Bereiche im Betriebssystem angreifen, deswegen aber den Computer an sich nicht zerstören, ihn aktuell jedoch in der Funktion behindern oder ggf. lahmlegen.

Deshalb setze ich darauf, sensibel für destruktive Verhaltensmuster („Viren“) zu werden, und diese am besten zu vermeiden, bevor sie relevant werden. Das allerwichtigste hierfür ist eine möglichst genaue Selbstbeobachtung, ein ,,sich Selbst bewusst´´ sein. Die Feldenkrais Methode war für mich (nicht nur) in diesem Zusammenhang von großem Nutzen!

Es geht darum, danach zu suchen, was nach wie vor funktioniert. Das können z.B. gewisse Lagen, Dynamiken, das Spielen mit dem Mundstück oder mit Metronom, sowie Situationen, in denen man sich nicht gestresst fühlt, sein. Die individuellen Unterschiede sind dabei sehr groß. Was genau mache ich in solchen Momenten, und was genau mache ich in Momenten, in denen der Stau auftritt (Zunge, Hals, Brustkorb, Bauch, Füße, Nacken, Stirn etc.). Je mehr ich dabei die Unterschiede wahrnehme, desto einfacher wird es mir fallen, aus den guten Momenten für die schwierigen zu lernen. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Atmung bei körperlicher Anstrengung ,z.B. beim Sport, zu beobachten, so wie den Gebrauch des Körpers im sonstigen Leben. Bei all dem gilt: es geht nicht darum in „gut“ und „schlecht“ einzuteilen, das ist sogar schädlich! Es geht darum sensibel für Zusammenhänge zu werden und  Fragen zu stellen nach dem Motto: „wenn ich mit dem linken Fuss…mache, nehme ich… war, wenn ich stattdessen …mache, was passiert dann?“

Die ernsthafte Beschäftigung hiermit setzt einen dauerhaft spannenden Prozess in Gang und ist die Grundlage meines Konzeptes zum Umgang mit Blockaden bei Blechbläsern*innen. Aber auch in vielen anderen Lebenssituationen.

Gleichzeitig sind natürlich „Sofortmaßnahmen“ nötig.

Wer es sich zeitlich erlauben kann, stellt sein Instrument spielbereit in seiner Wohnung auf, und spielt häufig, über den Tag verteilt, ein paar Minuten. Aber immer nur soweit er/sie sich gut dabei fühlt! Das heißt, manchmal ist schon Schluss, wenn man sich dem Instrument nur nähert (ich weiß, das klingt albern, ist aber mein Ernst!), ein anderes mal ist es vielleicht möglich, das Instrument in die Hand zu nehmen. Mal ist es möglich, ein wenig in einer bequemen Lage zu spielen, dann möglicherweise wieder nicht. Ziel ist es immer, bis kurz vor die Grenze zu gehen, aber nie darüber hinweg! Mit Geduld wird man feststellen, das sich diese Grenze, obwohl sie sehr tagesformabhängig ist und stark schwanken kann, langsam immer weiter verschiebt. Das ist ein Weg, wieder Sicherheit und Vertrauen zu entwickeln, weil man negative Erlebnisse mit dem Instrument und stressbestimmtes Spielen umgeht, und dadurch eine positive Beziehung zu seinem Instrument  neu aufbaut und so das „Betriebssystem“ neu aufspielen kann. 

Aber das kostet viel Zeit, mehr als die meisten von uns haben.

Alle anderen brauchen Maßnahmen um den Alltag (z.B. Orchesterdienst) einigermaßen zu überstehen und nicht noch weiter in den Abwärtsstrudel zu geraten. Diese können, je nach Persönlichkeit, Stadium der Beschwerden und individuellen Anforderungen sehr unterschiedlich sein. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Möglich ist alles, was hilft und einen nicht verkrampfen lässt, „so etwas macht man nicht“ gibt es erstmal nicht.   Z.B. kann man Tonanfänge ohne Zungenstoß üben, so das man zumindest überhaupt im richtigen Moment spielen kann, wenn auch mit unklareren Tonanfängen. Vibrato, oder den Ton immer wieder durch weiche Anstöße zu unterteilen kann bei langen Tönen helfen. Manchmal hilft es auch schon, die direkten Kollegen*innen zu bitten, deutlich mit einem zu atmen, sogar wenn sie nicht gleichzeitig mitspielen müssen. Auch das Metrum innerlich zu verschieben (z.B. 2 und 4 denken, statt 1 und 3) hat sich bewährt.

Beim Üben gilt es, alles, was zur Verfestigung der Blockademuster führt, zu vermeiden. Jeder, der das Stauen selber erlebt hat, weiß, das man es im letzten Augenblick bevor es auftritt, mitbekommt. In diesem Augenblick muss ich beim Üben unbedingt unterbrechen! Wenn ich weiterspiele und staue, übe ich genau das ein, was ich vermeiden will, nämlich das Stauen. Dann gilt es, wieder auf vergleichbare Weise wie eben beschrieben, kreativ zu sein. Was passiert, wenn ich in einer anderen Lage spiele, was, wenn ich anders stehe oder sitze, wenn ich mir vorstelle, es spielt jemand mit, wenn ich die Augen zumache, wenn ich mich auf lockere Füße konzentriere etc. wo treten überall Spannungen auf, was genau mache ich anders, als wenn es funktioniert, wie ich mir es vorstelle.  

Des weiteren gilt es, die Sensibilität zu schulen, und zu beobachten, ob Keime des Stauens, ein minimales Zögern z.B., nicht bereits in Situationen auftritt, die vermeintlich funktionieren, z.B. wenn ich ohne Ton Luft durch das Instrument blase, und so simuliere zu spielen. Bei vielen Orchestermusikern ist durch das „nach dem Schlag spielen“ die Sensibilität hierfür verloren gegangen. Wenn ich mich mit Metronom aufnehme (ggf. nur die Luftgeräusche) kann ich überprüfen, ob meine eigene Wahrnehmung sich exakt mit der Aufnahme deckt. Wenn ich, wie meistens im Orchester, nach dem Schlag spiele, sollte das ein bewusster Vorgang sein. Es gilt, für diesen Keim hochsensibel zu werden.

Außerdem entspannt und hilft es, wenn man seine Schwierigkeiten nicht versucht zu verstecken, sondern offen damit umgeht. Zumindest, wenn man sich in einem einigermaßen konstruktiven Umfeld bewegt.

Der Umgang mit sich selbst sollte in so einer Phase möglichst nicht von Selbsthass und Ungeduld geprägt sein, sondern von Neugier und Geduld.

Mich hat die Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten sehr viel weitergebracht, und ich empfinde sie inzwischen als große Bereicherung für mich als Musiker und als Mensch. 

Vergleichbare Schwierigkeiten gibt es nicht nur bei Blechbläsern*innen, auch bei anderen Instrumentalisten*innen und auch außerhalb der Musikwelt. Gerne wir solchen Fällen die Diagnose Fokale Dystonie gestellt. Meine langjährige Erfahrung und Beobachtung ist, das, egal, ob mit Diagnose oder ohne, man sich helfen kann, in dem man ändert, wie man sich selber benutzt, wie man mit sich umgeht. Mir hat es dabei geholfen, mich nie als krank anzusehen.

Mein Ziel ist es, dabei zu helfen, sich im Garten der eigenen Talente und Fähigkeiten, der leider schnell mal zum Irrgarten werden kann, besser zurechtzufinden, auch wenn ich in so einem Text nur einen kleinen Teil meiner Gedanken und Ideen ansprechen kann. 

Am Ende noch ein Filmtip: „The King’s Speech“. Natürlich kann nicht alles uneingeschränkt auf die Situation als Blechbläser*innen übertragen werden, aber manches ist doch sehr ähnlich, und der Film macht vor allem Mut!